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Die Perle, die bei Nacht strahlt

in Nachdenkgeschichte 26.05.2023 16:18
von Bille • 3.176 Beiträge

Die Perle, die bei Nacht strahlt

Einst lebte im östlichen Meer der Drachenkönig. Gern wollte er seine liebreizende Tochter vermählen, doch die kluge Prinzessin wollte nur einen Mann heiraten, der sowohl tapfer war als auch ein gutes Herz besaß. Nach Reichtum sehnte sie sich nicht. Also ließ der König nach einem geeigneten Bräutigam Ausschau halten, bis der Prinzessin ein armer Bursche vorgestellt wurde, der ihren Wünschen entsprach und Ah-örl hieß. Doch der Vater war mit ihrer Wahl nicht einverstanden und verbot eine Heirat mit dem armen Jungen.
Die Prinzessin weinte und weinte und der Meeresspiegel stieg und stieg. Indes träumte Ah-örl in dieser Nacht von einem alten Mann, der ihm riet, am Flussufer die Prinzessin zu treffen. Sogleich erzählte Ah-örl seinem älteren Bruder von seinem Traum, der Ah-örl keine Hoffnung machte. Sobald Ah-örl wieder eingeschlafen war, galoppierte sein Bruder zum Flussufer, um die Prinzessin selbst zu treffen.

Da wachte Ah-örl wieder auf und machte sich zu Fuß auf den Weg zum Fluss. Obwohl der andere Bruder einen Vorsprung hatte, erreichten sie beide gleichzeitig ihr Ziel. Die Prinzessin weilte am Flussufer und beide hielten um ihre Hand an. „Ich heirate den, der zum Palast meines Vaters geht und mir die Perle bringt, die bei Nacht strahlt“, sagte sie und übergab beiden je eine silberne Nadel, die die Wellen des Meeres bändigen sollten. Dann brachen sie auf.

Der ältere Bruder erreichte als Erster ein von den Fluten des Meeres überschwemmtes Dorf. „Nur der Goldene Kürbis aus dem Palast des Drachenkönigs kann unser Leiden mindern“, sagten die Dorfbewohner und der Bruder versprach, den Kürbis auf seinem Weg mitzubringen. Als Ah-örl einige Zeit später im Dorf eintraf, gab er ebenfalls sein Versprechen, dem Dorf zu helfen. Schließlich holte er seinen Bruder ein, der vor dem tosenden östlichen Meer stand. Ah-örl warf die silberne Nadel ins Wasser, wie ihm geheißen, und das Meer öffnete sich ihnen. Gemeinsam gelangten sie zum Drachenkönig, der sie schon erwartete.

„Von meinen Schätzen darf sich jeder Sterbliche nur einen nehmen, also wählt euren Schatz gut aus.“ Die Schatzkammer überbot alles Prächtige, was die beiden je gesehen hatten, Gold und Schmucksteine türmten sich bis zur Decke. Ah-örl entdeckte die Perle, die bei Nacht strahlt, doch dann zögerte er, dachte an die armen Dorfbewohner und wählte schließlich den Goldenen Kürbis, während sein Bruder die Perle an sich nahm.

„Mögen euch eure Schätze das erhoffte Glück bringen“, sagte der Drachenkönig und beide Brüder verließen mit ihren Schätzen den Palast. Der Bruder ritt so schnell wie der Wind zur Prinzessin zurück. Als er am Dorf vorbeikam, rief er den Dorfbewohnern nur zu, dass der König den Kürbis nicht hatte übergeben wollen und war fort. Ah-örl jedoch brachte den Wartenden den Kürbis, füllte ihn mit Wasser, auf dass die Fluten verschwanden. Zum Dank schenkte ihm ein Dorfbewohner eine Muschel, welche die Fluten übriggelassen hatten. Darin befand sich ein schwarze, unansehnliche Perle. Ah-örl machte sich auf den Weg. Sein Bruder hatte schon längst das Mädchen angetroffen. Doch sie bat ihn, zu warten und ihr die Perle zu bringen, wenn die Nacht angebrochen war. „So kann ich ihre Echtheit prüfen“, meinte sie.

Als der Bruder von Ah-örl nachts wieder vor der Prinzessin erschien, erreichte auch Ah-örl kurz darauf das Flussufer und sah, dass die Perle seines Bruders nicht leuchtete – sie zerbarst und zu aller Verwunderung löste sie sich in Wasser auf. „Das ist nicht die echte Perle“, sagte die Prinzessin und wandte sich an Ah-örl. „Zeige mir nun deine Perle“, sagte sie und schaute ihn erwartungsvoll an. Zögerlich gab er ihr seine schwarze Perle. In der Hand der Prinzessin funkelte diese so stark, dass sie ihn blendete. Die Perle überstrahlte alles in der Nacht. Sie warf sie hoch in die Luft, woraufhin vor ihren Augen ein prächtiger Palast erschien. „Das ist dein gutes Herz“, sagte die Prinzessin und dann schwebten sie gemeinsam hinauf in ihren Palast.


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