#1

Der Kaufmann und der Papagei

in Nachdenkgeschichte 18.10.2012 21:39
von Bille • 3.172 Beiträge

[Nach einer Geschichte von Jelaluddin Rumi]

Es war einmal ein Kaufmann der hatte einen Papagei. Der Papagei war in einem Käfig eingesperrt und vertrieb die Zeit mit seinem Geplapper.

So war es bis der Kaufmann eines Tages eine weite Reise nach Indien unternehmen musste. Vor seiner Abreise fragte er seine Frau und seine Kinder und alle seine Verwandten und Bedienstete, was er ihnen als Andenken mitbringen sollte.

Jeder wünschte sich etwas anderes: seine Frau wollte einen weichen Kashmirschal, der Sohn einen lebendigen Pfau, die Tochter wünschte sich einen Kamm aus echtem Elfenbein, einer begehrte einen Topf voller Süßigkeiten, ein anderer allerlei Arzneimittel und Gewürze wie Kardamom, Zimt, Ingwer und Chili...

Der Kaufmann notierte alle Dinge auf eine Liste und ging dann zu seinem Papagei, um sich auch von ihm zu verabschieden. Er fragte den Vogel: "Und was soll ich dir aus Indien mitbringen?"

Das kluge Papageilein antwortete sogleich: "Ich wünsche nur, dass du wieder gesund nach Hause kommst. Du brauchst mir nichts mitzubringen. Aber ich habe gehört» dass es in Indien frei lebende Papageien gibt. Deshalb habe ich einen Wunsch. Wenn du dort in den Wäldern auf meine Freunde triffst und siehst, dass diese dort froh und munter umher fliegen, so grüße sie doch von mir und sprich folgende Worte zu ihnen:

'Mein Papagei bittet euch um einen Rat. Er lässt euch ausrichten, dass dies nicht die feine Art von Freunden und Verwandten sei. Ihr sollt auch einmal an ihn denken, denn er möchte ebenso fröhlich sein wie ihr.' Vergiss bitte nicht, diese Botschaft von mir den Papageien mitzuteilen und bring mir ihre Antwort. Das ist alles, was ich mir wünsche."

Der Kaufmann wollte ihm das erfüllen und schrieb den Wunsch wie auch die anderen auf seinen Zettel. Er versprach seinem Vogel, ihm die Antwort der indischen Papageien zu bringen.

So reiste der Kaufmann ins ferne Indien. Als er dort angekommen war und einige Geschäfte getätigt hatte, lieh er sich ein Pferd, um die Gegend zu erkunden. Auf seinem Ritt kam er durch einen großen Wald. Wie er so munter vor sich her ritt, entdeckte er plötzlich einige wunderschöne Vögel. Es waren tatsächlich Papageie, die zwischen den grünen Baumwipfeln fröhlich hin und herflatterten. Er hielt an, denn in diesem Moment war ihm wieder der Wunsch seines Papageien eingefallen. Er stieg vom Pferd und rief die bunten Vögel zu sich. Tatsächlich kamen die Papageie näher, so, als hätten sie ihn verstanden.Ganz in seiner Nähe ließen sie sich auf den Ästen eines Baumes nieder.

Als die drei Vögel dort oben versammelt waren, erzählte ihnen der Kaufmann, was ihm sein Papagei aufgetragen hatte. Als er zu Ende gesprochen hatte, bat er die Buntgefiederten Genossen um ihre Antwort. Doch die Vögel wollten ihm keine Antwort geben. Im Gegenteil, plötzlich fing einer der Papageie an, am ganzen Körper zu zittern bis er ohnmächtig wurde und schließlich vom Ast herunterfiel.

Die anderen Papageie aber blieben stumm« Der Kaufmann wunderte sich sehr. Doch er wollte unbedingt eine Antwort hören und rief den Vögeln zu: 'Ihr lieben Papageie» mein Papagei ist doch euer Freund und mit euch verwandt. Er wünscht sich so sehr einen Rat von euch, so antwortet ihm doch!"

Als der Kaufmann dies gesagt hatte fing auch noch der zweite Papagei an, heftig zu zittern und fiel wie der erste zu Boden, Der dritte Papagei aber blieb ruhig sitzen, als wäre nichts geschehen, und gab kein einziges Wort von sich.

Der gute Mann war ganz durcheinander. Er fing an, seine Worte zu bereuen und machte sich im Herzen Vorwürfe. Leise sagte er zu sich: "Was habe ich bloß getan? Am Ende bin ich Schuld am Tod der Vögel, weil ich ihnen den Wunsch meines Papageis vorgetragen habe? Ich konnte das alles doch nicht wissen! Am Ende sind diese gefiederten Tierchen mit meinem Papagei tatsächlich verwandt und sind vor lauter Sehnsucht nach ihm gestorben?

Aber alles Klagen war zu spät» Traurig ritt der Kaufmann weiter und nahm sich vor, nie mehr mit einem indischen Papagei über die Sache zu sprechen. Er setzte seine Reise fort und machte seine Besorgungen und Geschäfte, Mit einem ansehnlichen Gewinn und allerlei Geschenken kehrte er in seine Heimatstadt zurück, Zuhause angekommen, verteilte er die Reiseandenken an seine Familie, seine Verwandten und Bediensteten und ging dann zu seinem Papagei.

Der Buntgescheckte fragte ihn sogleich:

"0 lieber Meister, allen hast du ein Geschenk mitgebracht, wo ist aber nun die frohe Nachricht, die du mir bringen wolltest? Was hast du zu den indischen Papageien gesagt, und wie haben sie dir geantwortet?

Der Kaufmann antwortete etwas kleinlaut:
"Mein lieber Papagei! Ich habe deinen indischen Freunden deine Botschaft überbracht. Doch das habe ich schwer bereut. Denn hätte ich gewusst, was passieren würde, dann hätte ich ihnen niemals deine Botschaft bestellt! Denn die Worte, die du mir auf getragen hast, haben die Tierlein ganz traurig gemacht, so dass sie gar nichts mehr sagen wollten."

Da rief der Papagei ganz aufgeregt: "Das kann gar nicht sein! Ich kenne doch meine Papageien. Es ist unmöglich, dass sie dir nicht geantwortet haben! Sie sind treuer und ehrlicher als die Menschen. Wenn du ihnen wirklich meine Botschaft überbracht hast, dann haben sie dir auch ganz bestimmt geantwortet!"

Der Kaufmann erwiderte: "Es ist so gewesen, wie ich es dir erzählt habe. Aber es wäre besser, wir sprechen nicht mehr darüber und ich schenke dir etwas anderes, was du gerne haben möchtest."

Der Papagei sagte mit ganz trauriger Stimme: "Ich möchte gar nichts anderes haben. Du sollst mir nur sagen, was die Papageien dir zur Antwort gaben, als sie meine Worte hörten."

Na gut," antwortete der Kaufmann, "wenn du so beharrlich danach fragst, so sollst du wissen. Deine Freunde, die indischen Papageie, haben überhaupt nichts gesagte als ich ihnen deine Worte überbrachte. Im Gegenteil, als ich sie um ihre Antwort bat, wurde einem Papagei so übel, dass er zitterte, bewusstlos wurde und regungslos auf die Erde fiel, während die anderen keinen Ton mehr herausbrachten.
So musste ich meine Bitte noch einmal wiederholen. Und wieder wurde ein Vogel ohnmächtig und stürzte zu Boden und der andere blieb abermals stumm. Ich war sehr überrascht darüber und enttäuschte dass die Papageien keine Antwort geben wollten. Am Ende hatte ich gar den Tod deiner beiden Artgenossen verursacht. Ich weiß nicht, ob sie mit dir verwandt waren oder nicht. Jedenfalls hat keiner von ihnen auch nur ein Wort zu mir gesprochen."

Als der Kaufmann dies gesagt hatte, gab der Papagei plötzlich einen kreischenden Schrei von sich, erzitterte, dass seine Federn aufflogen, wurde bewusstlos und stürzte nieder. Der Kaufmann erschrak, als er dies sah. Nun wusste er gar nicht, wie ihm geschah. Auch sein Papagei lag regungslos auf dem Boden seines Käfigs. Alles Weinen und Klagen half nichts
mehr.

Dem Kaufmann blieb nichts anderes übrig, als das arme Vöglein aus dem Käfig herauszunehmen. Er legte es draußen im Garten in das Gras und war sehr traurig, dass sein guter Papagei anscheinend auch durch seine Worte gestorben sei.

Wie erstaunt war da der Kaufmann, als der Papagei nämlich merkte, dass er frei war, setzte er schnell seine Flügel in Bewegung und flog geschwind hinauf in die Luft. Der Kaufmann blickte ihm verwundert nach. Hoch oben auf einem Ast des Baumes setzte sich der Papagei nieder. Der Kaufmann rief ihm mit erregter Stimme nach: "Was sehe ich auf einmal? Wie ist denn das gekommen?"

Doch nun dämmerte ihm und er stellte seinem ehemaligen Papagei die Frage: "Wo du nun jederzeit fortfliegen kannst, so wirst du mir doch auch jetzt erzählen, wie du das gemacht hast. Ich habe deine Botschaft den Papageien überbracht, also musst auch du mir jetzt die Wahrheit sagen.

Der Papagei antwortete "Weil du ein guter Mensch bist und meine Botschaft wahrheitsgetreu überbracht hast, so will ich dir die Wahrheit sagen. Ich habe den indischen Papageien durch meine Botschaft meine traurige Lage erklärt und sie um einen Weg gefragt, wie ich mich befreien kann. Und sie haben mir einen wahrhaft praktischen Rat gegeben: Zum einen blieben sie stumm und sagten nichts mehr. Dadurch lehrten sie mir, dass der Grund meiner Gefangenschaft in meinem Geplapper und meiner endlosen süßen Rede lag. So war der Weg meiner Befreiung eben nichts mehr zu sagen.

Zum anderen wurden die beiden indischen Papageie nacheinander ohnmächtige um mir eine zweite praktische Lehre zu geben. Sie haben mir gezeigte solange, du ein Korn bist, werden dich die Vögel aufpicken und solange du eine Beute bleibst wird der Jäger hinter dir her sein. Aber da du ja keine Zähne und Krallen hast, um dich zu wehren und du im Käfig gefangen bist, musst du nutzlos sein, stumm, ohnmächtig und schwach. Dann werden die Habgierigen von dir ablassen und du wirst frei sein.

Auch der Pfau ist wegen seiner Schönheit in Gefangenschaft geraten und der Papagei, weil er sprechen kann. Schönheit und süße Rede war mein Missgeschick. Die indischen Papageie aber haben mir gesagt, 'du musst stumm bleiben und nichts sein, um lebendig und frei zu werden.'

Dies war die beste Lehre, die sie mir zeigen konnten. Und jetzt habe ich diese Lehre, wie du siehst, in die tat umgesetzt und bin wirklich frei geworden."
Das sagte der Papagei und flog davon.....


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